Das Hofstede Kulturmodell

the 6 Hofstede dimension in a nutshell

Kultur ist messbar !

Kultur ist weniger über Praktiken als darüber wie Angehörige einer Gruppe diese wahrnehmen und bewerten.
Prof. Geert Hofstede

Der Organisationsanthropologe Prof. Geert Hofstede hat in einer großangelegten, empirischen Studie 4 Kulturkategorien herausgefiltert, die in späteren Studien und Peer-Reviews bestätigt und ergänzt wurden. Während der Zusammenarbeit mit Prof. Michail Minkov wurde eine Dimension komplett überarbeitet und eine neue hinzugefügt, sodass das Hofstede Modell heute aus 6 Dimensionen besteht: 

"PDI - Power Distance Index" - Machtdistanz

Werte auf der Skala von 0 bis 100 zeigen, inwieweit die weniger einflussreichen Mitglieder einer Gesellschaft es akzeptieren und auch erwarten, dass Macht und Einfluss ungleich verteilt sind. 

Organisationsformen in Kulturen von hoher Machtdistanz (hohe PDI-Werte) geprägt sind, sind oft pyramidal strukturiert; Kommunikation ist selektiv, offizielles Handeln ist weisungsgebunden, Eintrittsbarrieren sind eher hoch und an Herkunft (soziale Klasse) und Tauglichkeit (Kaderprüfung) gebunden. Delegation wird eher als Mandatierung verstanden, wobei der Mandatsempfänger abhängig vom Mandatsgeber bleibt. Kontrolle von oben wird erwartet und kann auch als Zeichen von Anerkennung verstanden werden. Letztendlich bleiben die Entscheidungsgewalt und die Verantwortung beim Höchsten in der Hierarchie, dem dadurch alle Privilegien zugestanden werden.

In Organisationen von Kulturen mit niedriger Machtdistanz (niedrige PDI-Werte) ist Kommunikation umfassender, Austausch wird über mehrere Stufen hinweg organisiert, persönliche Initiative wird eher gefördert, spontanes Handeln ist erlaubt. Delegation wird hier als Übertragung von Rechten gesehen, die dem Empfänger eine gewisse Unabhängigkeit in der Aufgabenerfüllung verschafft. Persönliche Kontrolle wird eher als unangenehm gesehen und kann gar als Misstrauensbeweis empfunden werden. Privilegien - wenn nicht transparent gerechtfertigt -  werden als ungerecht empfunden. 

"UAI - Uncertainty Avoidance Index" - Unsicherheitsvermeidung

Die Skalenwerte zeigen den Grad, bis zu dem sich die Mitglieder einer Gesellschaft oder Organisation von ungewissen oder unbekannten Situationen bedroht fühlen. 

Ein hoher Wert deutet daraufhin, dass die Mitglieder sich gegen Unbekanntes abzusichern suchen bzw. Handlungen vorab regeln wollen. So werden Ordnung, Gesetze, Standards oder Theorien und Experten als notwendige Maßgabe empfunden. Abweichungen dagegen bewirken Stress und die Tendenz sanktioniert zu werden.

In Gesellschaften oder Organisationen mit hohen UAI Werten wird Fremdes oder Neues eher als Bedrohung gesehen. Projekte sollten wohl begründet und detailliert geplant werden. Qualität muss nach vorher definierten Kriterien abprüfbar sein. Kontrolle ist notwendig. Alles andere wird eher als Leichtsinn gesehen. Entscheidungspositionen werden von ausgewiesenen Experten besetzt. Korrekte, sachbezogene Kommunikation wird geschätzt. Standards und Regeln müssen eingehalten werden. Die Akzeptanz von Neulingen fällt dann leichter, wenn diese ihre Fähigkeiten nachweisen können und nach den herrschenden Regeln und Prozessen handeln. 

In Organisationen mit niedrigen UAI Werten, werden neue Ideen oder Neuankömmlinge eher mit Neugier betrachtet. Projekte sind aktionsgetrieben. Ausprobieren, sogenanntes Trial-and-Error, wird unterstützt. Abweichungen, kurzfristige Anpassungen von Handlungs- und Zielparameter werden begrüßt. Flexibilität und Pragmatismus im alltäglichen Handeln zeichnen den sympathischen Macher aus. Projektkommunikation ist relativ direkt und formlos, und auf den nächsten Schritt fokussiert. Auch Nicht-Experten können einbezogen werden und mitentscheiden. Die Akzeptanz von Neulingen fällt leicht, insbesondere wenn auch diese ihre Neugier und Offenheit zeigen. 

"IDV - Individualism" - Individualismus versus Kollektivismus

Es geht um den Platz und die Bedeutung des Individuums in einer Gesellschaft. 

Gesellschaften mit hohen IDV-Werten werden auch individualistische Gesellschaften genannt. Hier genießt das Individuum eine große Bedeutung. Die (Entscheidungs-) Freiheit und Privatsphäre des Einzelnen wird als hohes Gut geschätzt und geschützt. Das Individuum darf seine sozialen Bindungen selbst wählen, die mehr vertraglich als moralisch geregelt sind.  Beziehungen sind lose, d.h. sie sind temporär und können von jedem Beteiligten aufgelöst werden. So stehen Vertrags- und Aufgabenerfüllung im Vordergrund. Kommunikation ist in Vertragsbeziehungen direkt, individuelle Erwartungen und Wünsche aber auch Kritik werden  verbalisiert. Arbeits-und Privatleben werden getrennt

Gesellschaften mit niedrigen IDV-Werten werden als kollektivistische Gesellschaften bezeichnet. Hier bestimmt die Geburt, d.h. der Stand der Familie,  die soziale Zugehörigkeit. Menschen werden in feste, soziale Gruppen hineingeboren, von denen sie das ganze Leben lang Schutz erhalten, solange sie sich der Gruppe gegenüber absolut loyal verhalten. Moralische - d.h. nach Sitte und Norm der Gruppe - Bindung ist höher als die institutionell, vertragliche Verpflichtung. Die einzelnen Mitglieder können sich durch außergewöhnliche Beiträge zur Gruppe oder Loyalitätsbeweise mehr Chancen und höheres Ansehen verschaffen.  Nähe ist ein wichtiger Beziehungsfaktor. Worte sind weniger wichtig als der Beweis dieser Nähe. Jedes Gruppenmitglied ist darauf bedacht, freundlich und in Harmonie mit der Gruppenerwartung zu kommunizieren. Erwartungen, Wünsche oder Kritik werden über eine Symbolsprache vermittelt. Individualistisches Verhalten, wie eigene Entscheidungen zu treffen, seine Freizeit nach eigenen Vorlieben zu gestalten oder Selbstverwirklichung in Ehe und Familie werden als Egoismus interpretiert. Das beeinflusst auch das Arbeitsleben: Familien- und Berufswelt sind miteinander verwoben. Man schätzt, dass viele Familienmitglieder und Freunde in der Firma mitarbeiten.

"IVR - Indulgence versus Restraint" - Nachsicht/Ausgelassenheit versus Beherrschtheit

Wie stark sollen Belohnung und Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse reguliert werden? Wie viel Freizügigkeit und Lockerheit soll erlaubt sein? Oder ist es für die Gruppe dienlicher, die Sitten streng zu überwachen?

Hohe IVR Werte stehen für einen nachsichtigen Umgang mit Sitte und Moral und dem Austausch unter den Geschlechtern. Vergnügungen, Müßiggang muss sein, um sein Leben in der Balance zu halten. "Don't-worry-be-happy-Haltung" wird gerne gesehen, genauso wie lächelnde und lachende Kollegen, Chefs, Lehrer, Nachbarn. Lockerer Umgang mit der eigenen Körperlichkeit wird eher akzeptiert. 

Niedrige IVR Werte dagegen stehen streng regulierten Umgang unter den Geschlechtern und für das Wertschätzen von Anstand und Moral. Überschäumende Fröhlichkeit wird nicht gern gesehen, außer in vorgegebenen Rahmen, Raum und Zeit. Man ist sparsam mit lustvollen Gefühlsbekundigungen. Lächeln und Lachen können leicht als unseriös oder gar als etwas dämlich interpretiert werden. Die eigene Körperlichkeit und Lustempfinden wird nicht nach außen getragen.

"MAS - Masculinity" - Maskulinität versus Femininität

Hier geht es nicht um "Männlichkeit" oder "Weiblichkeit" sondern um Antriebsmuster und Verhaltensweisen, die eine Gruppe oder Gesellschaft als typisch maskulin oder typisch feminin markiert. 

Eine Gesellschaft mit hohen MAS-Werten wird als maskuline Kultur bezeichnet. Die Rollenerwartung an die Geschlechter unterscheidet sich deutlich: Ein Mann soll durchsetzungsfähig, bestimmend und hart sein. Sieg, Geld und Macht sind als Motivationsfaktoren akzeptiert. Die Frau hingegen soll bescheiden, zärtlich und um Lebensqualität bemüht sein. "Karriere" und der aktive Kampf um den (materiellen) Erfolg wird von den männlichen Mitgliedern der Gesellschaft erwartet. Sieger werden bewundert. Konflikte dürfen frontal angegangen werden. Konsensfindung ist handlungsorientiert und eine Suche nach Mehrheiten bzw. der besten/stärksten/effizientesten/(andere Superlative!) Alternative.

Eine Gesellschaft mit niedrigen MAS-Werten wird als feminine Kultur bezeichnet. Hier überlappen sich die Rollenerwartungen an beide Geschlechter zunehmend. Bescheidenheit, Sensibilität und das Bemühen um Lebensqualität werden sowohl bei Frauen als auch bei Männern gewertschätzt. Männer wie Frauen wollen gefragt werden. Man schätzt das Zarte, Gebrechliche, und hat Sympathie mit Verlierern. Konflikte sollten behutsam, ohne Konfrontation, angegangen werden.  Konsensfindung ist eine Suche nach gemeinsamen Werthaltungen und Toleranz. 

"LTO wvs - Longterm Orientation" - Langfristdenken versus Kurzfristdenken

Ursprünglich auch als Konfuzianische Dynamik bezeichnet und abgeleitet aus den Ergebnissen einer sozialpsychologischen Studie (Chinese Value Survey) von Michael Bond in den 1980er Jahren, hat Prof. Geert Hofstede, diese Dimension inzwischen neu bewertet. Als Grundlage dienten ihm die Arbeiten von Prof. Michael Minkov, der das umfangreiche Datenmaterial des regelmäßig aktualisierten World Value Survey (WVS) in Bezug auf die Hofstede'schen Dimensionen auswertete. Da noch viele Anbieter die ältere oder Bond'sche LTO Dimension und deren Werte heranziehen, wird die LongTermOrientation hier mit dem Zusatz WVS versehen. 

Eine Gesellschaft mit hohen LTO-WVS Werten honoriert Fleiß, Sparsamkeit und das disziplinierte Streben nach langfristigen Werten und Errungenschaften. Unternehmen mit solchem Langfristdenken projizieren ihre Entwicklung über viele Jahre hinweg. Die Stärkung der Marktposition und nachhaltige Kundenführerschaft werden höher gewichtet als die Quartalsergebnisse. In veränderten Kontext können Prinzipien und Richtlinien dem Langfriststreben entsprechend neu ausgelegt werden (Werte-Pragmatismus).

Eine Gesellschaft mit niedrigen LTO-WVS Werten ist stolz auf die Erreichung kurzfristiger Ziele und schnelle Reaktion auf die sich verändernde aktuelle Lage. Kredite und Konsum werden als Motor des Wohlstands gesehen. Dabei orientieren Mitglieder ihr Handeln an Prinzipien und Tradition, Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Dieser gemeinsame Glaube sowie die Einhaltung der Gebote und das Befolgen der teilweise detaillierten Handlungsempfehlungen sind wesentlich um anerkanntes Mitglied der Gesellschaft zu sein und zu bleiben.